Bei vernünftiger Auffassung kein Schuldgefühl

Dokumentiert: Ein TV-Gerät für Günter Guillaume/Urteilsspruch des Landgerichts Köln 1980

Vor 50 Jahren wurde der Referent Günter Guillaume des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt als DDR-Spion enttarnt, verhaftet und später verurteilt. Einige Jahre nach der Inhaftierung hat der Strafgefangene bei der Gefängnisleitung einen Fernsehapparat beantragt. Der wurde ihm verweigert. Daraufhin wandte sich Guillaume an das Gericht. Zitiert wird im Folgenden aus der Urteilsbegründung des Landgerichts Köln, das dem Strafgefangenen Guillaume 1980, nach sechs Jahren in der Reichenbacher Haft, einen eigenen Fernsehapparat zubilligte. Den moralisch Entrüsteten in der BRD schrieb die Richterin bei dieser Gelegenheit einiges ins Stammbuch. 1981 wurde Guillaume im Rahmen des Agentenaustauschs in die DDR überstellt.

Bei dem Antragsteller fehlt es an jedem Ansatzpunkt für die Anwendbarkeit des Resozialisierungsgedankens. Er hat sich als Agent im Dienste seines Heimatlandes betätigt und keine über diesen Rahmen hinausgehende Straftat allgemeiner Art mit gesondertem moralischen Schuldgehalt begangen. Die auf Informationsbeschaffung ausgerichtete Agententätigkeit an sich ist nach der allgemein üblichen und auch zu respektierenden Auffassung selbst in schweren Fällen nicht mit einem moralischen Makel behaftet, wenn sie im Dienste des eigenen Staates ausgeübt wird. Jeder Staat beschäftigt Agenten … und erkennt erfolgreiche Leistungen an. Zwar stellt auch jeder Staat eine entsprechende Betätigung von Agenten anderer Staaten in seinem eigenen Bereich unter schwere Strafen. Das kann aber nur aus dem Schutzbedürfnis heraus verstanden werden, der Schuldbegriff ist insofern ein rein gesetzlich festgelegter ohne moralischen Gehalt. … Aus dem Umstand, dass der Antragsteller nach unserem politischen Verständnis als Bürger der DDR von vornherein die gleiche Staatszugehörigkeit besaß wie wir und diese nicht erst zur Ausübung seiner Agententätigkeit anzunehmen oder vorzutäuschen brauchte, lässt sich in diesem Zusammenhang nichts Abweichendes herleiten. … Wir können dem Antragsteller genauso wenig wie einem Ausländer das Recht absprechen, sich als Bürger seines eigenen Staates zu fühlen, sich mit ihm zu identifizieren und ihm zu dienen.

Zwar ist in der Öffentlichkeit mitunter die Meinung zu hören, seine Tat sei trotzdem moralisch verwerflich, weil sie im Gegensatz zu sonstiger Agententätigkeit die allgemein respektierten Grenzen des internationalen Anstands überschritten habe. Bei einem Regierungschef eines anderen Staates schleiche sich nach ungeschriebenen Regeln kein Agent als persönlicher Referent ein. Diese Meinung kann von einem Gericht aber nicht vertreten werden, ohne die Bundesrepublik in den Ruf der Heuchelei zu bringen. In Wirklichkeit geht es dabei nicht um echte Empörung über ein als moralisch verwerflich empfundenes Verhalten, sondern um Verärgerung über den außerordentlichen Erfolg der Gegenseite und die eigene Blamage. Man versorgt den Regierungschef eines anderen Staates im allgemeinen nicht mit persönlichen Referenten, weil man dazu keine Gelegenheit hat. Wenn es allein um die Regeln des aus moralischen Gründen zu beachtenden Anstands ginge, würde jeder Staat dem anderen mit einem ziemlich hohen Grad an Wahrscheinlichkeit sogar den Regierungschef stellen. … Der Sühnegedanke wird nur noch im Rahmen der inneren Schuldverarbeitung anerkannt. Sühne im Sinne von Rache ist unserem Rechtsdenken fremd. Eine lediglich aus Gründen des Staatsschutzes festgelegte formale Schuld ohne moralischen Gehalt lässt sich aber naturgemäß nicht innerlich verarbeiten. Der Antragsteller kann bei vernünftiger Auffassung kein Schuldgefühl haben. … Der Strafvollzug wäre somit bei konsequenter Anwendung unserer Rechtsgrundsätze unter den denkbar günstigsten Bedingungen durchzuführen. An dem Antragsteller wird die Strafe aber unter den für ihn denkbar ungünstigsten Bedingungen vollstreckt. Eine innere Vereinsamung des Antragsteller ist schon durch die Auswahl der übrigen Anstaltsinsassen programmiert. Dass er sich Mördern, Totschlägern, Betrügern, Räubern, Hehlern, Zuhältern, Dieben und sonstigen Straftätern schwerster Sorte aus dem Bereich der allgemeinen Kriminalität innerlich anpasst, ist ihm nicht zuzumuten. … Der Antragsteller ist seit Jahren einer inneren Isolation in Verbindung mit psychischen Quälereien und somit einem weit überhöhtem Leidensdruck ausgesetzt. Ihm ist schon der Erfahrung nach zu glauben, dass diese Umstände auch an der Entstehung seiner physischen Leiden mitgewirkt haben. Da er wahrscheinlich überleben will, ist es naheliegend, dass er sich auf unterschiedliche Weise zu helfen sucht. … Dass ein von ihm selbst ausgewähltes Fernsehprogramm eher zu der bei ihm durch die bisherige Vollzugsbehandlung dringend erforderlich gewordene innere Entspannung beitragen kann als das von der Mehrheit der übrigen Gefangenen ausgewählte Gemeinschaftsprogramm, liegt auf der Hand. Unter den gegebenen Umständen ist ihm die Teilnahme am Gemeinschaftsfernsehen der Justizvollzugsanstalt nicht zuzumuten. Er hat vielmehr Anspruch auf Zulassung eines eigenen Fernsehapparats.“

Guillaumes Kommentar: „In meiner manchmal recht trostlosen Lage, die von der Richterin K. eindringlich und anteilnehmend analysiert worden war, verschaffte mir ihre Urteilsbegründung eine gewisse belebende Genugtuung. Daran änderte auch nichts mehr der weitere Gang der Dinge, an dessen Ende mir der Betrieb eines eigenen Fernsehapparats schließlich von der höheren Instanz doch verweigert wurde. Der Spruch der Richterin bedeutete mir letztlich mehr als der Fernseher selbst, um den es dabei ging.

Guillaume weiter: Zu dem Vorgang wurde dann übrigens noch eine Pointe geliefert und zwar ausgerechnet vom BRD-Fernsehen. Ich sah Jahre später einen Film über die Verurteilten des Majdanek-Prozesses. Die Kamera war auch in der Zelle der fanatischen Massenmörderin Hildegard Lächert zu Gast und sah sich darin vorsichtig um. Was man zu sehen bekam erinnerte weniger an eine Gefängniszelle, vielmehr mit seiner gemütvollen Einrichtung an einen Damenstift. Neben dem Lehnstuhl der SS-Dame stand ein Fernsehapparat. Sein unschuldiges weißes Gehäuse war dem anderen Mobilar geschmackvoll angepasst.“

(Zitiert aus: Günter Guillaume „Die Aussage – wie es wirklich war“)

Noch ein P.S.: Unter der Überschrift „Ulrikes Mörder – dieser Knast soll Strafe sein“ schildert die „Bild“-Zeitung am 8.1.2002 die Lebensbedingungen des Kindermörders Stefan Jahn. „Zum Essen muss der Mörder nicht Schlange stehen. Es wird ihm dreimal täglich aufs Zimmer gebracht. Und das ist immerhin 10 Quadratmeter groß. Komplett eingerichtet mit Schreibtisch (braucht Jahn!), Fernseher (für die Unterhaltung), usw.“.