Udo an Erich: „Sonderzug“ war Dokument meiner Irritation/Eine Dokumentation
40 Jahre ist es jetzt her, seit Deutschrocker Udo Lindenberg einen Auftritt im DDR-Palast der Republik hatte. Das ist vielen im TV und Rundfunk ein Gedenken wert gewesen, und manchmal war dabei auch von einem Brief die Rede, den Udo im Vorfeld an DDR-Partei- und Staatschef Erich Honecker gesandt hatte. Warum aber wird allenfalls vorsichtig daraus zitiert, warum wird das Schriftstück nicht einfach in Gänze veröffentlicht? Weil darin Aussagen auftauchen, die im Rückblick das Bild des Rockers Lindenberg beschädigen könnten? Weil mehr Achtung vor der Politik Honeckers und der DDR darin zu Ausdruck kommt, als den heutigen Tugendwächtern und Rechtgläubigen lieb sein kann? Wir meinen: vielleicht. Rocklegende Udo Lindenberg und DDR-Staatschef Erich Honecker machten sich bekanntlich gegenseitig und in aller Öffentlichkeit Geschenke – und das, obwohl ihr Verhältnis nicht immer ein ungetrübtes war. Aber unter Freunden kann man sich auch mal verzeihen, wie der genannte Brief beweist, den Udo im August 1983 an Erich sandte. Dass der Rocker in diesem Brief zu seinem Lied „Sonderzug“ vorsichtig auf Distanz geht, Erichs Friedensliebe lobt und eine Zensur seines eigenen Programms anbietet, geht ziemlich weit – nichtsdestotrotz, so waren sie halt, die Zeiten. Das Schreiben möge – vollständig gelesen – für oder gegen Udo sprechen. Entnommen ist der Brief dem Band „Udo rockt für den Weltfrieden“, den die Stasi-Unterlagenbehörde herausgegeben hat (S.26 ff).
Matthias Krauß
Foto: Die Lindenberg-Schallplatte des DDR-Labels Amiga mit kleinem grünen Kaktus
Udo Lindenberg, Hotel Inter-Continental, Budapester Str. 2, 1000 Berlin
An den Vorsitzenden
des Staatsrates der DDR
und Generalsekretär der SED
Herrn Erich Honecker
1020 Berlin
Marx-Engels-Platz
DDR
Sehr geehrter Herr Honecker!
Ich wende mich mit einer Bitte an Sie. Seit Jahren habe ich mich darum bemüht, ein Konzert in Ihrem Staat geben zu können. In diesem Zusammenhang habe ich mich auch an den leider verstorbenen Präsidenten der Akademie der Künste der DDR, Konrad Wolf, gewandt. Mir ist nicht bekannt, warum alle bisherigen Bemühungen ohne Erfolg geblieben sind.
Es kann vielleicht sein, dass einige meiner Auftritte im hiesigen Showgeschäft Irritationen hervorgerufen haben. Das ist jedoch für mich nicht vorstellbar. Schon vor längerer Zeit habe ich der Zeitung „Junge Welt“ ein Interview gegeben, in dem ich ausführlich meine Gründe für ein Engagement in der Friedensbewegung in der Bundesrepublik dargelegt habe. Auch soll ein Interview mit der „Wahrheit“, der Zeitung der SEW (Sozialistische Einheitspartei Westberlins, M. K.) in den Zeitungen der DDR zitiert worden sein.
Um so mehr hat mich irritiert, daß Andere aus dem Showgeschäft der BRD in Ihrem Staat auftreten konnten und ich nicht. Betrachten Sie bitte deshalb, Herr Staatsratsvorsitzender, meinen Text auf eine bekannte Schlagermelodie „Sonderzug nach Pankow“ als ein Dokument meiner Irritation. Mein Wunsch in diesem Lied, im Palast der Republik auftreten zu wollen, ist ernst gemeint. (Wie dieses Lied allerdings in den hiesigen Medien eingesetzt worden ist und vielleicht manchmal noch wird, unterliegt nicht meinen Intentionen. Dass es hingegen für einige andere Lieder von mir ein Sendeverbot gibt, ist die andere Seite der Medaille.) Auf jeden Fall lag es mir fern, Herr Staatsratsvorsitzender, Sie mit diesem Liedchen zu diskreditieren. Im Gegenteil.
So habe ich auch davon abgesehen, von Westberlin aus, meinem jetzigen Wohnsitz, zu Ihnen zu fahren. Vielleicht lachen Sie jetzt über mich, aber es hätte sein können, ich von Ihren Leuten an der Grenze abgewiesen worden wäre, und am nächsten Tag hätte der Vorfall in den Springer-Zeitungen gestanden. Daran habe ich keinerlei Interesse.
Ich möchte im Palast der Republik oder beim Festival des politischen Liedes wie andere Rocksänger auftreten. Im Rahmen einer Solidaritätsveranstaltung würde ich selbstverständlich auf ein Honorar verzichten. Das mache ich hier bei Konzerten „Künstler für den Frieden“ oder bei anderen politischen Veranstaltungen ebenfalls. Und über das, was ich singen würde, lässt sich auch reden.
Ich brauche, glaube ich, nicht zu betonen, daß ich Ihre Initiativen zur Friedenssicherung aufmerksam verfolge. Nicht zuletzt ist auch das ein Grund, weswegen ich mich mit diesem Brief, Herr Staatsratsvorsitzender, an Sie wende. Als alter Wiebelskirchner Trommler beim RFB (Rot-Frontkämpferbund, d. Red.) werden Sie mich verstehen.
Herzlichst Ihr
Udo Lindenberg (unterschriftlich)
Kurze Anmerkung: Ob Honecker nun getrommelt oder gepfiffen hat – er gehörte zweifellos einer Schalmeien-Kapelle des Rotfront-Kämpferbundes an. Ein solches Instrument bekam Udo L. dann auch von „Honi“ als Geschenk überreicht. Udo hatte dem Erich eine Rocker-Lederjacke verehrt und später noch eine E-Gitarre. Zu Udos Auftritt beim Festival des politischen Liedes ist es dann gekommen, zu einer von ihm angestrebten Tournee durch die DDR aber nicht. Jedenfalls hat die DDR-Plattenfirma Amiga dann noch eine Schallplatte mit Liedern von Udo Lindenberg herausgebracht, allerdings ohne den „Sonderzug nach Pankow“.
(M. K.)