Annalena Baerbock

Man sieht sich immer zweimal im Leben – oder auch öfter

W. W. Putin und seine grünen Lehrmeister_*Innen

Von Matthias Krauß

Der rhetorische Schlagabtausch zwischen Russland und Deutschland – letzteres vertreten durch seine Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/ Die Grünen) – lässt an Schärfe nicht zu wünschen übrig. Ein oberflächlicher Betrachter könnte nicht völlig zu Unrecht auf eine tief empfundene, erbitterte Feindschaft schließen. Nicht im Widerspruch dazu steht, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in mehrfacher Hinsicht bei den Grünen geistige Anleihen genommen hat und ihr gelehriger Schüler geworden ist.

Foto: Beim Halbzeitempfang der Grünen-Landtagsfraktion vor einigen Tagen in Potsdam trug Außenministerin Annalena Baerbock einen edlen Trenchcoat in der Unschuldsfarbe Weiß.

Erstens. Von den Grünen hat Putin gelernt, dass man überall, also auch in Europa, andere Länder überfallen und mit Krieg überziehen darf. Was die Grünen 1999 mit Jugoslawien taten, das tat Putin 2022 mit der Ukraine. Der Tabubruch fand 1999 statt, und dass es sich um den Bruch des Völkerrechts handelte, hat der Hauptverantwortliche auf deutscher Seite – der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) – inzwischen auch eingeräumt. Das haben die Grünen als seine damaligen Koalitionspartner noch vor sich. Der Unterschied zwischen den beiden völkerrechtswidrigen Agressionen: Putin setzt Bodentruppen ein, ein Teil seiner Soldaten stirbt in diesem Krieg. Während die Grünen zusammen mit der übrigen NATO es 1999 vorgezogen hatten, mit Abstandswaffen aus gesicherter Luftposition Wehrlose abzuschlachten.

Zweitens. Der russische Präsident hat begriffen, dass separatistische Prozesse sich in legitime Vorgänge verwandeln lassen, sogar in neue Staaten, auch dann, wenn Recht und Völkerrecht dagegen stehen. Die Anerkennung der Abspaltungen Sloweniens und Kroatiens von der Förderativen Republik Jugoslawien, wie die Kohl-Genscher-Regierung sie im europäischen Alleingang in der EU vorgenommen hatte, wurde von den Grünen gestützt. Die deutsche Anerkennungspolitik hatte auf dem Gebiet von Jugoslawien eine Psychose nach dem Motto „Rette sich wer kann“ angetrieben und einen entsetzlichen Krieg mit heraufbeschworen. Der dankbare Schüler Putin wendete dieses Sezessions-Modell auf die „Volksrepubliken“ Lugansk und Donezk an.

Drittens. Wladimir Putin hat von den Grünen gelernt, dass man Krieg nicht Krieg nennen darf. Auf meine Frage, wie mit der Tatsache umzugehen sei, dass Deutschland in Afghanistan erneut einen Krieg verloren hat, antwortete eine maßgebliche Grünen-Politiker Brandenburgs vor einem knappen Jahr, Deutschland könne dort keinen Krieg verloren haben, weil es dort keinen geführt habe. Mit Heeresmacht in ein anderes Land einfallen, dort Waffen einsetzen und Menschen töten, aber dabei keinen Krieg führen – das ist eine zutiefst deutsche und grüne Vorstellung. Darauf muss man erst einmal kommen. Da sagte sich Wladimir, das kann ich auch. Wer in Russland den Ukrainekrieg einen Krieg nennt, wird hart bestraft.

Viertens. Wenn man andere Länder überfällt, dann muss dort ein Holocaust verhindert werden. Das ist einfach Pflicht, und darunter hatte es der Außenminister Joseph Fischer 1999 auch nicht gemacht. Mit seinem Angriff auf Jugoslawien verfolgte er ein so formuliertes Ziel. Das lässt sich hören, sagte sich Präsident Putin, eine gute Idee. Er führt seine „Spezialoperation“ in der Ukraine durch, „um einen Genozid zu beenden.“ Bei wem aber das Copyright dafür liegt, kann keine Frage sein.

In lang andauernden Auseinandersetzungen inspirieren sich die Kontrahenten gegenseitig. Sie „lernen“ gewissermaßen voneinander. Die Gegner tauschen Eigenschaften und Prinzipien aus. Beinahe immer die schlechten, man soll sich da nichts vormachen. Aber wer da urteilt, sollte die Reihenfolge der Ereignisse nicht verwechseln und sie sich auch immer mal wieder vor Augen führen.

Was müsste man bezogen auf die Partei Bündnis 90/Die Grünen an dieser Stelle festhalten? Dass man sich mindestens zweimal im Leben wiedersieht? Oder doch eher den „Fluch der bösen Tat“? Es ist offensichtlich, dass die Protagonisten mit schlechtem Gewissen operieren und ihre Unsicherheit hinter einem betont forschen Auftreten zu verbergen trachten. Und es bleibt zu hoffen, dass es noch die deutschen Interessen sind, die hier vertreten werden. Das Bild, welches ein Anton Hofreiter abgibt, ist insofern auch vor dem Hintergrund bemerkenswert, als er ja als „Linker“ gilt. Hoffentlich behält Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angesichts seiner geistig beweglichen „Partner“ auf der Regierungslokomotive halbwegs die Nerven.