Kommt eine neue Eiszeit?

Dokumentiert. Der folgende Text erschien in der Juli-Ausgabe der DDR-Zeitschrift „Das Magazin“ 1971, d.h. vor ziemlich genau 50 Jahren, und er stammt aus der Feder des Autors Hans Kleffe. Angesichts der schrillen Töne in der gegenwärtigen Debatte zu diesem Thema berühren Gediegenheit und Unaufgeregheit. Auf Sendungswillen, Unbedingtheit und Einseitigkeit wird verzichtet. Die Zwischenüberschriften sind zum Teil von mir eingesetzt worden. (M. K.)

Vielleicht lesen Sie diesen Beitrag gerade an einem heißen Tag, sehnen sich nach einem kühlen Luftzug, einem erfrischenden Bad oder – eine neue Eiszeit. Aber wird sie kommen?

Erinnern Sie sich noch daran, wie kalt es war?

Die Wissenschaftler in aller Welt bewegt diese Frage schon seit Jahrzehnten. Da sind zunächst die kalten Winter der letzten Jahre. (Erinnern Sie sich noch daran, wie kalt es war?) Der Zeitraum von 1. März 1962 bis 28. Februar 1963 war im mittleren Norddeutschland die kälteste Jahresperiode seit 1740. In den Jahren 1968/69 gab es wieder einen ungewöhnlich strengen Winter. Und dann überbot der Winter 1969/70 mit 115 Schneetagen und einer um 4 Grad Celsius unter dem langjährigen Mittel liegenden Temperatur nochmals etliche Rekorde.

Kette von Rekord-Wintern

Angesichts der Kette von Rekord-Wintern entsteht die Frage: Ändert sich unser Klima? Gehen wir wieder einer neuen Eiszeit entgegen? Das wäre an sich nicht ungewöhnlich oder überraschend. Denn das, was man summarisch die Eiszeit nennt, war in Wirklichkeit eine Periode von mehreren Vereisungswellen, die zwischendurch immer wieder von wärmeren Perioden, Zwischeneiszeiten, unterbrochen wurde. Es kann also durchaus sein, dass wir uns nur in einer Zwischeneiszeit befinden, der eine erneute Vereisungswelle folgt. Es kann aber auch sein, dass die jüngste Eiswelle die letzte dieser Eiszeiten-Periode gewesen ist. Es gibt bisher kein sicheres Indiz für die eine oder andere Voraussage.

Wenige Jahre besagen gar nichts

Die Kette strenger Winter in der jüngsten Vergangenheit, so sehr sie gefühlsmäßig für eine neue Eiszeit zu sprechen scheint, kommt als Indiz dafür überhaupt nicht ernsthaft in Betracht. Das wird auch jeder Laie sofort einsehen, wenn er bedenkt, über welche langen Zeiträume sich Vereisungen und Zwischeneiszeiten erstrecken. Der Rückgang der jüngsten Vereisung vollzog sich etwa in der Zeit zwischen 22.000 und 10.000 Jahren vor der Gegenwart. Unsere Ostsee ist übrigens das „Kind“ dieses Eisrückgangs und erst in diesem Zeitraum als Schmelzwasserbecken der einstigen Gletscher entstanden. Aus Witterungserscheinungen, die im Verlauf von einigen Jahren oder auch Jahrzehnten auftreten, kann man daher unmöglich auf klimatische Prozesse schließen, die so viele Jahrtausende umspannen wie Eiszeiten und Zwischeneiszeiten.

Gletscher speichern die Ergebnisse

Es kommt noch ein anderer Umstand hinzu. Mit Sicherheit weiß man heute, dass im Verlaufe einer Zwischeneiszeit die Temperaturkurve nicht gradlinig steigt, um nach Überschreiten eines Maximums ebenso gleichmäßig wieder abzufallen. Vielmehr wechseln sich auch innerhalb einer Zwischeneiszeit nochmals wärmere und kühlere Perioden ab. Obwohl das Thermometer erst seit dem 18. Jahrhundert in Gebrauch ist, kann man das aus anderen sicheren Indizien zumindest für die jüngere Vergangenheit beweisen. Dafür sprechen zum Beispiel das Vorkommen bestimmter Pflanzen- und Tierarten sowie die Verschiebung von Gletschergrenzen. Gletscher speichern wie natürliche Computer die Ergebnisse langjähriger Witterungseinflüsse. Ein aufschlussreiches „Spiegelbild“ der Klimaänderungen liefern auch die Eisvorkommen an der Nordküste von Island. Dazu folgende kleine Tabelle, die dem Buch „Grundlagen der Meteorologie“ von Professor Walter Hesse entnommen ist.

(Zwischen den Jahren 800 und 900 dauerte an der Nordküste Islands das durchschnittliche jährliche Eisvorkommen 0,1 Woche, im Jahrhundert zwischen 1100 und 1200 gab es keine Eisvorkommen, zwischen 1200 und 1300 wurden im Schnitt 7,8 Wochen im Jahr Eisvorkommen ermittelt, zwischen 1600 und 1700 waren es 22,6 Wochen, zwischen 1800 und 1900 40,8 Wochen und zwischen 1900 und 1950 wurden an der Nordküste Islands pro Jahr im Durchschnitt 8,6 Eis-Wochen gezählt.)

Im Mittelalter war’s wärmer

Über die langfristigen Klimaveränderungen der jüngeren Vergangenheit ergibt sich etwa folgendes Bild: In Europa war es von der Zeit von etwa 10.000 bis 3.000 Jahren vor der Gegenwart recht warm. Darauf folgte eine merklich kühlere Periode. Zu einem betont freundlichen Klima mit im allgemeinen warmen Sommern und milden Wintern kam es dann wieder vom frühen Mittelalter bis ins 13. Jahrhundert. Die Eiskappe des nördlichen Polargebietes hatte sich damals weit zurückgezogen. In Südwest-Grönland, dessen Name ja Grünland bedeutet, konnte damals eine umfangreiche Weidewirtschaft betrieben werden. Die Wikinger, die das nördliche Nordamerika erreichten, bezeichneten diesen Kontinent als Weinland, weil dort reichlich Trauben gediehen. Auf die warme Klima-Periode des Mittelalters folgte erneut eine kühlere, die ihren Höhepunkt um 1750 hatte. Damals erreichten die norwegischen Gletscher ihre größte in geschichtlicher Zeit bekannte Ausdehnung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann erneut eine allgemeine Erwärmung. Nach neusten Messungen scheint sie inzwischen allerdings ihren Höhepunkt überschritten zu haben und wieder rückläufig zu sein. Absolut sicher lässt sich das eigentlich nur im Nachhinein feststellen und belegen. So bestand auch über die jüngste Erwärmungstendenz, obwohl sie bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts begann, erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts völlige Gewissheit. Dementsprechend wäre es im Moment zu früh für eine endgültige Aussage darüber, ob wir uns bereits wieder auf dem absteigenden Ast der Klimakurve befinden. Aber selbst, wenn wir annehmen, dass wir wieder in eine kühlere Klimaperiode eingetreten sind, so dürfen wir damit nicht die falsche Vorstellung verbinden, dass nun jeder Winter besonders streng und jeder Sommer besonders heiß ausfallen müsste. Alle Angaben über Klimaverhältnisse sind als Mittelwerte aufzufassen. Auch in einer kühleren Periode gibt es einzelne milde Winter, und in wärmeren Perioden ist man keinesfalls gegen extrem kalte Winter versichert.

Rätsel um Perioden

An dem kurzen Abriss der Klimageschichte der jüngeren Vergangenheit fällt auf, dass anfangs nur verhältnismäßig langfristige Perioden beschrieben werden, die sich über mehrere Jahrhunderte oder gar Jahrtausende erstrecken, während ab 1750 Perioden benannt werden, die größenordnungsmäßig nur noch ein Jahrhundert oder wenige Jahrzehnte umfassen. Daraus folgt nicht, dass der Klimawechsel in jüngster Zeit schneller stattfindet als früher, sondern darin drückt sich die geschärfte Beobachtung aus. Denn seit etwa 200 Jahren erfolgen regelmäßig meteorologische Messungen.

Kurzfristige Tendenzangaben eher Gedankenspiele

Man hat aber versucht, aus der Bearbeitung meteorologischer Statistiken und aus Indizien eine regelmäßige Periodik von Klimaschwankungen zu abstrahieren. Solche Schwankungen von relativ kurzer Periodenlänge sind keine eigentlichen Klimaänderungen. Vielmehr pendelt das Klima nur periodisch um ein für einen längeren Zeitraum bestimmendes Niveau. Klimaschwankungen dieser Art sollen dem durchschnittlich 11,1 Jahre umfassenden Sonnenflecken-Zyklus folgen. Für die Tropen sind Schwankungen der Jahresmittel-Temperatur, die mit den Sonnenflecken-Zyklus einhergehen, nachgewiesen, für den europäischen Raum ist ein so enger Zusammenhang aber schon nicht mehr eindeutig. Ein Klimaforscher, der die Winter der vergangenen 800 Jahre auf periodisch wiederkehrende Schwankungen untersuchte, fand eine 89jährige, also etwa je 8 Sonnenflecken-Zyklen umfassende Periodik, die sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen ließ. Aber auch hier bleibt die Frage, ob eine solche Periodik real existiert oder nur scheinbar vorhanden ist, bis zu einem gewissen Grade offen.

Wenn man wüsste, wie Eiszeiten entstehen…

Was das Problem der Vorhersage einer Eiszeit anbetrifft, so würde die Kenntnis der Eiszeiten-Ursache darüber weit mehr besagen als alle bisher vorliegenden Klimastatistiken, weil sich diese auf einen vergleichsweise zu kleinen Zeitraum erstrecken. Hypothesen über die Entstehung von Eiszeiten gibt es viele. Keine ist bewiesen, keine unwidersprochen. Führen wir als Beispiel die relativ junge Theorie der beiden Geophysiker Ewing und Donn von der New-Yorker Columbia-Universität an. Danach ist gerade während der Eiszeiten das nördliche Polarmeer eisfrei und wärmer als die angrenzenden Landmassen. Darum verdunstet das Polarmeer weit größere Wassermengen. Dies führt zu gesteigerten Niederschlägen über dem kälteren Festland und im Gefolge davon dehnen sich Gletscher bis Mitteleuropa und in Nordamerika bis zum Missouri aus. Die Gletscher binden große Wassermengen, so dass der Meeresspiegel um etwa 100 Meter sinkt. Dies hat zur Folge, dass die relativ seichte, nur etwa 90 Meter unter dem heutigen Meeresniveau liegende Schwelle zwischen dem Nordatlantik und dem Nordpolarmeer aus dem Wasser taucht und dadurch den Nachschub warmer Wassermassen aus dem Atlantik unterbricht. So friert das Nordpolarmeer wieder zu, Wasserverdunstung, Niederschläge und Gletscherbildung gehen zurück. Es kommt zu einer Zwischeneiszeit. Durch das Abschmelzen der Gletscher steigt der Meeresspiegel, die trennende Bodenschwelle zwischen Atlantik und Polarmeer wird wieder zunehmend überflutet, was einen steigenden Ausgleich der Wassertemperatur zwischen den beiden Meeren bewirkt. Das Polarmeer wird eisfrei, und damit sind die Bedingungen für das Entstehen der nächsten Eiszeit geschaffen.