150 Jahre Rosa Luxemburg: „Brief aus dem Gefängnis“
Ein einziger Text aus der Feder der Gründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands Rosa Luxemburg erscheint im DDR-Einheitslesebuch. Und mit ihm gibt dieses Buch erneut Rätsel auf. Nein, dieser „Brief aus dem Gefängnis“ (Lesebuch Klasse 7, S. 141) gerichtet an Sonja Liebknecht, also die Frau von Karl Liebknecht, ist kein Dokument revolutionärer Gesinnung. Es enthält keine Parolen, keine Aufrufe, nicht eine Spur kommunistischer Ideologie haftet ihm an. Er zeigt aber, was diese jüdisch-polnisch-deutsche Revolutionärin vor allem war: ein mitfühlender, warmherziger, gütiger Mensch.
Aus dem Gefängnis Breslau (heute Wroclaw) berichtet Rosa Luxemburg in diesem Brief vom Dezember 1917, wie Büffel, die man in Rumänien gefangen hat, ins Joch gezwungen und gemartert wurden, um für die Kriegswirtschaft nützlich zu sein.
„Ich sah die Tiere zum ersten Mal aus der Nähe. Sie sind kräftiger und breiter gebaut als unsere Rinder, mit flachen Köpfen und flach abgebogenen Hörnern, die Schädel also unseren Schafen ähnlicher, ganz schwarz, mit großen sanften schwarzen Augen. … Die Soldaten, die den Wagen fuhren, erzählen, dass es sehr mühsam war, diese wilden Tiere zu fangen und noch schwerer sie, die sie an die Freiheit gewöhnt waren, zum Lastdienst zu benutzen. Sie wurden furchtbar geprügelt, bis sie begreifen lernten, dass sie den Krieg verloren hatten…..
Und dann schildert Rosa L., was sie von ihrem Zellenfenster aus beobachtet und wie ein Soldat über die strauchelnden Tiere herfällt.
Wie ein verweintes Kind
„Der begleitende Soldat, ein brutaler Kerl, fing an, derart auf die Tiere mit dem dicken Ende des Peitschenstils loszuschlagen, dass unsere Gefängnisaufseherin ihn empört zur Rede stellte, ob er denn kein Mitleid mit den Tieren hätte. „Mit uns Menschen hat auch niemand Mitleid!“, antwortete er mit bösem Lächeln. Und hieb noch kräftiger ein. … Die Tiere zogen schließlich an, und kamen über den Berg, aber eins blutete … Sonitschka, die Büffelhaut ist sprichwörtlich an Dicke und Zähigkeit, und die war zerrissen. Die Tiere standen dann beim Abladen ganz still , erschöpft und eins, das welches blutete, schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften, schwarzen Augen wie ein verweintes Kind…. Der Soldat aber steckte beide Hände in die Hosentasche, spazierte mit großen Schritten über den Hof, lächelte und pfiff leise einen Gassenhauer. Und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei.“
Als sie diese Sätze schrieb, hatte die Strafgefangene noch ein Jahr zu leben.
Rosa Luxemburg, am 5. März 1871 als Rozalia Luksenburg in dem Teil Polens geboren, der damals zum Russisches Kaiserreich gehörte, war eine herausragende Vertreterin der sozialistischen Bewegung in Deutschland und strahlte mit ihrem Wirken weit über seine Grenzen hinaus. Die folgenden Daten sind der Wikipedia-Bibliothek zur Biografie von Rosa Luxemburg entnommen.
Ihr Name: ein behördlicher Schreibfehler
Geboren wurde sie als das fünfte Kind einer wohlhabenden jüdischen Familie in Russisch-Polen. Ihre Eltern waren der Holzhändler Eliasz Luxenburg und dessen Frau Line (geb. Löwenstein). Der Familienname wurde noch zu Lebzeiten ihres Vaters durch einen behördlichen Schreibfehler zu Luxemburg, und Rosa behielt ihn einfach bei. Sie war körperlich klein und lebenslang gehbehindert.
In Warschau besuchte sie seit 1880 das Zweite Mädchengymnasium. 1886, also noch in ihrer Schulzeit, trat sie der polnischen Arbeiterpartei „Proletariat“ bei, einer marxistischen Gruppierung. Die wurde 1883 verboten und operierte von da an in der Illegalität. Einer ihrer Unter-Gruppen schloss sich Rosa Luxemburg an.
Die Multi-Studentin
1889 ging sie nach Zürich, damals dem Exil vieler russischer und polnischer Intellektueller. Dort erwarb sich Rosa L. rasch den Ruf als führende Theoretikerin der Arbeiterbewegung. Sie studierte an der Universität Zürich Philosophie, Geschichtswissenschaft, Politik, Ökonomie und Mathematik. Ihre Schwerpunkte waren Staatswissenschaften (vergleichbar mit den heutigen Disziplinen Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft), ferner Mittelalter, Wirtschafts- und Börsenkrisen.
1893 gründete Rosa Luxemburg gemeinsam mit Leo Jogiches und Julian Balthasar Marchlewski die Sozialdemokratische Partei des Königreiches Polen (SDKP), ab 1900 Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauen (Socjaldemokracja Królestwa Polskiego i Litwy – SDKPiL). Diese Gruppierung verstand sich als revolutionäre Alternative zur bestehenden Polnischen Sozialistischen Partei (PPS). 1897 wurde Rosa Luxemburg in Zürich magna cum laude zum Thema „Polens industrielle Entwicklung“ promoviert.
Staatsbürgerlich bestimmte Vernunftehe
Im Jahr darauf heiratete Rosa Luxemburg den 24-jährigen Schlosser Gustav Lübeck, möglicherweise bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Sie zog nach Berlin und trat der SPD bei. Deren neues (Erfurter) Programm von 1891 schrieb aber die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft nur noch als Fernziel fest und betonte den Alltagskampf für Reformen. Rosa Luxemburg vertrat dagegen eine konsequent klassenkämpferische und revolutionäre Haltung. Sie wurde wegen ihrer scharfen Reden und analytischen Fähigkeiten rasch zur Wortführerin des linken Parteiflügels. In dieser Rolle griff sie 1899 mit einer Artikelserie in der angesehenen Leipziger Volkszeitung in die sogenannte Revisionismusdebatte ein. Wegen deren Abkehr vom Ziel des Sozialismus forderte sie den Ausschluss der „Revisionisten“ aus der SPD. Das unterblieb zwar, aber die Parteiführung unter August Bebel und Karl Kautsky behielt den Marxismus und damit das Endziel der klassenlosen Gesellschaft in ihrem Programm. In der praktischen Politik ging es der SPD in dieser Phase vor allem um Wahlerfolge.
„Aufreizung zum Klassenhass“
1905 begab sich die Revolutionärin unter falschem Namen nach Russisch-Polen, um die SDKPiL zur Teilnahme an der Russischen Revolution zu bewegen. Sie wurde verhaftet und ausgewiesen. Im folgenden Jahr wurde sie wegen Aufreizung zum Klassenhass zu zwei Monaten Haft verurteilt. Beim Kongress der Zweiten Internationale in Stuttgart brachte sie erfolgreich eine Resolution ein, die ein gemeinsames Handeln aller europäischen Arbeiterparteien gegen den Krieg vorsah. Ab 1907 unterhielt sie eine mehrjährige Liebesbeziehung zu Kostja Zetkin. Daraus sind etwa 600 Briefe erhalten. Seit 1907 lehrte Rosa Luxemburg als Dozentin für Marxismus und Ökonomie an der SPD-Parteischule in Berlin. Einer ihrer Schüler war der spätere SPD-Vorsitzende und erste Präsident der Weimarer Republik, Friedrich Ebert.
Ihre Hoffnung: Generalstreik bei Kriegsausbruch
1912 reiste sie als Vertreterin der SPD zu europäischen Sozialistenkongressen, u. a. nach Paris. Mit dem französischen Sozialisten Jean Jaurès sorgte sie dafür, dass die europäischen Arbeiterparteien sich feierlich verpflichteten, beim Kriegsausbruch zum Generalstreik aufzurufen. In Fechenheim bei Frankfurt am Main rief sie am 25. September 1913 eine Menge von Hunderttausenden zu Kriegsdienst- und Befehlsverweigerung auf: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: Nein, das tun wir nicht!“
Bei Ausbruch des Krieges am 4. August 1914 stimmte die Reichstagsfraktion der SPD (Karl Liebknecht war abwesend) einstimmig mit den bürgerlichen und monarchistischen Fraktionen für die Aufnahme von Kriegskrediten. Rosa Luxemburg erlebte diesen offenen Verrat an den Vorkriegsbeschlüssen als persönliche Niederlage und dachte kurze Zeit sogar an Selbstmord. Aus ihrer Sicht hatte der Opportunismus, den sie immer bekämpft hatte, gesiegt und das Ja zum Krieg nach sich gezogen.
Haft im Weibergefängnis
Am 5. August gründete Rosa Luxemburg mit sechs anderen Parteilinken, darunter Franz Mehring und Clara Zetkin, die „Gruppe Internationale“, der sich wenig später auch Karl Liebknecht anschloss. Daraus ging 1916 die reichsweite „Spartakusgruppe“ hervor, deren „Spartakusbriefe“ Rosa Luxemburg mit Liebknecht zusammen herausgab. Im Dezember 1914 lehnte Karl Liebknecht als zunächst einziger SPD-Reichstagsabgeordneter weitere Kriegskredite ab und verstieß damit gegen die Fraktionsdisziplin. Er wurde bald darauf zum Kriegsdienst in der Deutschen Reichswehr eingezogen. Rosa Luxemburg musste am 18. Februar 1915 die Haftstrafe im Berliner Weibergefängnis antreten, die über sie wegen der bei Frankfurt am Main gehaltene Rede verhängt worden war. Ein Jahr später wurde sie entlassen, aber schon drei Monate später erneut verurteilt, diesmal zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus. Im Juli 1916 begann ihre „Sicherungsverwahrung“. Sie wurde zweimal verlegt, zuerst nach Wronke nahe Posen, dann nach Breslau. Dort schrieb sie u. a. den später ins DDR-Schulbuch aufgenommenen Brief. Während des Ersten Weltkrieges verbrachte Rosa Luxemburg drei Jahre und vier Monate im Gefängnis. Ihre gesammelten Briefe aus dem Gefängnis an ihre Freundinnen Mathilde Jacob und Sonja Liebknecht fanden später in der Weimarer Republik und auch in der DDR eine breite Leserschaft.
Frei im anderen Denken
Im Februar 1917 weckte der revolutionäre Sturz des Zaren in Russland Hoffnungen auf ein baldiges Kriegsende. Rosa Luxemburg stand dem vermeintlichen oder tatsächlichen blutigen Terror distanziert gegenüber, den die neuen Machthaber Russlands zur Durchsetzung ihrer Diktatur des Proletariats einsetzten. Noch im Gefängnis schrieb sie jenen Satz, auf den die gesammelten Werke dieser Frau in der heutigen Publizistik zusammengestrichen worden sind: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern. Nicht wegen des Fanatismus der Gerechtigkeit, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die Freiheit zum Privilegium wird.“
Wichtigste Autorin des ersten KPD-Programms
Im April 1917 gründeten die Kriegsgegner, die von der SPD zuvor ausgeschlossen worden waren, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Die neue Partei gewann rasch Zulauf. Obwohl der Spartakusbund die Parteispaltung bis dahin abgelehnt hatte, trat er nun der neuen Linkspartei bei. Während der Novemberrevolution betätigte sich Rosa Luxemburg als Herausgeberin der Zeitung „Die Rote Fahne“, die später das Zentralorgan der KPD in Deutschland werden sollte. Beim Jahreswechsel 1918/19 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der KPD, deren Programm sie hauptsächlich verfasste. Auf dem Gründungsparteitag hielt sie das Programmreferat. Nach der Niederschlagung des Spartakusaufstands wurde sie am 15. Januar 1919 zusammen mit Karl Liebknecht von rechtsradikalen Freikorps-Soldaten ermordet.
Was Rosa Luxemburg und ihre Gefängniszeit betrifft, liegt seit 2010 eine andere Dokumentation vor, eine, die auf so seltsame Weise verfremdet, dass ein ganz neuer und wunderbarer Zugang zu ihr möglich wird. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau hat 2010 das lange Zeit als verschollen geltende Herbarium der sozialistischen Ikone als Buch herausgegeben. Holger Politt, der mehrjährige Leiter des Warschauer Büros und Jörn Schütrumpf, Leiter des Karl Dietz Verlages Berlin, ließen sich die Sache angelegen sein. Der – sehr wertvoll aufgemachte – Band enthält praktisch nichts als Abbildungen der von Rosa Luxemburg getrockneten und in insgesamt 18 Heften aufbewahrten Pflanzen und Pflanzenteilen nebst ihrer Beschriftung. Mit denen tat sie das, was die meisten Menschen als Kinder auch getan haben: Sie hat sie präpariert, eingeklebt und mit Kommentaren versehen.
Die Natur nicht aus dem Augen verloren
Als junge Frau trug sich Rosa Luxemburg eine Zeitlang mit der Absicht, Botanik zu studieren. Bevor sie sich ihrer mehr oder weniger unglücklichen Liebe Leo Jogiches und der Politik in die Arme warf (die für sie ebenfalls keine glückliche Liebe war), sah sie sich als Naturwissenschaftlerin. Und weil im heimischen, von Russland besetzten Teil Polens Frauen nicht studieren konnten, musste sie – wie erwähnt – zu diesem Behufe in die Schweiz ziehen. Das als Buch herausgegebene Herbarium aber ist keine Jungmädchenschwärmerei. Sie hat es nicht als Kind, sondern als reife Frau begonnen, so wie man eine Jugendneigung in späteren Jahren vielleicht noch einmal auslebt. Sie nutzte auch die Gefängniszeit, ihre Sammlung zu vervollständigen. Das erste Ausstellungsstück (Johannisbeere) datiert vom Mai 1913, da war Luxemburg 42 Jahre alt. Den letzten „Eintrag“ in ihrem Herbarium, der einen Kommentar trägt, nahm sie wenige Wochen vor ihrer Ermordung – am 10. Oktober 1918 vor. Sie klebte das Blatt eines Spitzahornbaumes ein und notiert dazu: „erkrankt“. Es folgt noch einmal eine Seite mit drei Pflanzen, aber zu einer Beschriftung ist es nicht mehr gekommen.
Polens Stieftochter wird Aschenputtel
Der Umgang des heutigen Polens mit seiner Tochter Rosa Luksemburg (im polnischen Alphabet gibt es keinen Buchstaben x) ist nicht freundlich, er ist nicht einmal sachlich. Sie gilt dort offiziell als Verfemte, was u. a. darin zum Ausdruck kommt, dass es laut Politt landesweit wohl nur noch eine einzige Luksemburg-Straße gibt. In Polen ist kommunistische Argumentation unter Strafe gestellt, und das erstreckt sich auch auf Rosa Luxemburg. Die Stiftung mit ihrem Namen wurde von den Behörden durchweg mit Misstrauen begleitet.
Die jüdische Polin Luxemburg verfasste ihre Schriften meist in der deutschen Sprache, das tat sie in ihren Briefen und auch in ihrem Herbarium, und dazu hatte sie vor allem in ihren langen Gefängnisaufenthalten viel Zeit. Was die interessierte Hobby-Botanikerin und fleißige Briefschreiberin aus dieser Arbeit bezog, muss Kraft gewesen sein. Kraft aus der Betrachtung der Schöpfung, wenn man so will, einer Schönheit in der Ausformung der einzelnen Pflanze wie auch aus der Schönheit, die in der Systematik liegt, im Aufbau und in der Ordnung der Natur, welche der Mensch zu entdecken und zu beschreiben vermag. Dabei ging sie bei der Komplettierung ihrer Sammlung keineswegs besonders systematisch vor, offenbar bezog sie ein, was so am Wegrande lag, was Freunde ihr mitbrachten oder was ihr der Wind einfach an das Fenster der Gefängniszelle in Berlin und später in Breslau geweht hatte.
Zu gewaltig für ein Leben: ihr Lerneifer
Es berührt auch noch nach 100 Jahren, mit welchem Eifer sie bei dieser Arbeit war, und ob man nun das in der DDR hochgehaltene Bildungsideal der vielseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit zum Maßstab nimmt oder die nach der Wende populär gewordene Parole vom „lebenslangen Lernen“ – R.L. hat schon im Gefängnis beides vorgelebt. Auf Politik und Botanik ließ sie sich übrigens nicht beschränken. Aus dem Breslauer Gefängnis schrieb sie 1918 an Luise Kautsky: „Ich bin über die beiden Ohren in der Geologie, die mich außerordentlich anregt und beglückt. Ich kriege Angst, wenn ich daran denke, wie kurz das Leben für mich noch ist und wie viel noch zu lernen wäre.“
Wo sind die sterblichen Überreste?
Nicht einmal die Totenruhe ist der rastlosen Frau gegönnt. Gegenwärtig ringen die Experten noch in der Leichensache Luxemburg. Beherbergt der Friedhof Friedrichsfelde die sterblichen Überreste der im Januar 1919 von Freikorpsoffizieren ermordeten Kommunistin oder die Berliner Charitè oder keines von beiden?
Aus: „Völkermord statt Holocaust. Jude und Judenbild im Literaturunterricht der DDR“, Matthias Krauß, Schkeuditzer Buchverlag 2012