Failed Continent

Europas Probleme wurzeln in einem Gründungsdefekt und sind unlösbar

Von Matthias Krauß

Wer nach der Flüchtlingskrise vor einigen Jahren noch eines Beweises bedurfte, den müssen die verzweifelten und egoistischen Reaktionen der europäischen Staaten auf die gegenwärtige Corona-Krise endgültig belehrt haben: Von allen politischen Grundkonzeptionen der großen Mächte oder Machtzentren auf der Welt ist das europäische Modell das mit Abstand schwächste, unflexibelste und am wenigsten belastbare. Im Konzert der Giganten ist der altehrwürdige Kleinkontinent ökonomisch und als Absatzmarkt immerhin noch bedeutend. Politisch, gar machtpolitisch gleichwohl ein Zwerg, den von der Witzfigur nicht viel trennt. Und wenn, wie vor einigen Jahren geschehen, eine US-amerikanische Staatssekretärin mit ihrem genervten „Fuck the EU“ weltweit berüchtigt wurde, so mit einer rüden, wenig schmeichelhaften Formulierung, doch brachte sie so das Entscheidende auf den Punkt. Um dieses „Europa“ muss sich niemand scheren, weil niemand es fürchten müsste. Für die Bandagen, mit denen die Auseinandersetzungen weltweit geführt worden sind und in Zukunft geführt werden, ist dieses „Europa“ nicht gerüstet. Der Abschied und Austritt von Großbritannien hat es jedem, der Augen hat, vor dieselben geführt. Danach ist keine Klarheit zu erwarten, sondern eine neue und vertiefte Form des Durcheinanders.

Sichtbarer Ausdruck der Schwäche dieser sogenannten Union: Die Differenzen innerhalb ihrer Grenzen sind inzwischen so groß, die Mittel zur Lösung so verdünnt und verbraucht, dass es keine gemeinsamen Erklärungen oder Beschlüsse mehr gibt. Oder sie sind so allgemein gehalten und damit so belanglos, dass ein jeder sich das Seine dabei denken kann. Derweil wird in Europa zunehmend der Schein der Einheit für die Einheit selbst ausgegeben. Wo keine wirkliche Einheit existiert, wird die blau-goldenen Fahne aufgezogen. Europa hat inzwischen vor allem mit sich selbst zu tun und kann sich auf Dinge außerhalb seiner Grenzen kaum noch konzentrieren. Als solches ist diese EU ein Spielball aller übrigen Weltmächte geworden. Und die spielen geschickt.

Vier Gründe

Zu dieser Lage haben im Wesentlichen vier Gründe geführt, die als Gründungsdefekte anzusehen sind. Entscheidend für das absehbare Scheitern des „Projekts“ sind die Geldverlockung als einzigem realen Kitt der EU, die Schwächungsoption des möglichen Austritts, die versäumte Auslieferung der Souveränität v.a. in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik und schließlich das zweideutige Werbeschild der „Werteunion“.

„Das liebe Heil’ge Römische Reich, was hält es noch zusammen?“, lässt Goethe im Faust einen Studenten singen. Was hält denn diese Europäische Union zusammen und was allein hat sie zusammen gehalten? Zuvörderst die Tatsache, dass sie eine Art Krämervereinigung ist, in dernes Futter gibt. Was vor einigen Jahrzehnten von Helmut Kohl und Francoise Mitterrand geschaffen wurde, ist ein Schönwetterbund, der auf Geldverteilung und damit auf der Notwendigkeit beruht, dass es in jedem Jahr mehr zu verteilen gibt. Als Kitt muss das aber untauglich sein, denn ein solches Bild kann die EU nicht auf ewig bieten. Sobald diese Springquellen versiegen, gerät der Bund in die Krise. Strategische Pläne lassen sich auf dieser Grundlage nicht schmieden. Eine solche Union fällt vielleicht nicht beim ersten Windstoß auseinander aber beim fünften. Eine Union, deren Stabilität allein darauf beruht, dass jedes Jahr mehr zu verteilen sein wird, ist keine stabile Macht, weil allein die Nützlichkeitserwägung den Ausschlag für die Teilnahme bieten. Nützlichkeitserwägungen haben den Beitritt Norwegens verhindert und Nützlichkeitserwägungen haben den Austritt Großbritanniens bewirkt. Und letztlich ist das die Frage vor der alle übrigen Mitglieder ebenfalls stehen. Das Scheitern dieses Projektes liegt in seinen Genen, es ward ihm in der Wiege mitgegeben und dieses Scheitern ist unweigerlich. Der Austritt Großbritanniens hat zudem den Kuchen verkleinert. Hat also den eigentlichen Grund, bei der EU mitzuspielen, geschwächt. Er hat ohnehin fragilen Bindungskräfte weiter gelockert.

Sehr nobel und sehr unpolitisch

Ja, sicher, der Chor der Enthusiasten ist an dieser Stelle unüberhörbar. Es sind nicht wenige, die sich ihr Lieblingsspielzeug nicht wegnehmen lassen wollen. Sei es nicht „schön“, per Personalausweis durch die europäische Welt zu reisen, sich um Umtauschkurse keinen Gedanken machen zu müssen? Hat die Freizügigkeit nicht Vorteile für alle? Nein, hat sie nicht. Aber auch wenn dies anders wäre – das ist Romantik, Programmmusik und für die eigentliche Betrachtung nicht von Belang. Eine Freizügigkeit hätte sich auch ohne dieses Konstrukt EU herstellen lassen. Nüchternheit ist hier angebrachter, die eines Niccolò Machiavelli beispielsweise, der zu Unrecht unmoralisch gescholten wird, nur, weil er dazu rät, Moral dort zu belassen, wo sie hingehört. Grundlage staatlichen Handels müsse der staatliche Egoismus sein und nicht die Romantik, forderte Otto von Bismarck. Alles andere verleitet am Ende zu lächerlichen Handlungen. Und bei Shakespeare heißt es bei der von diesem Grundsatz abweichenden Haltung eines Königs, diese Handlung sei „sehr nobel und sehr unpolitisch“ gewesen.

Wer am Ende ist, wird nett

Blieb da noch etwas? Ach ja – das von den „Europäern“ hoch gehaltene System der „Werte“, um die sich der Staatenbund angeblich gruppiert. Um das geflügelte Wort hier zu gebrauchen, diese Werte „schmecken gut, sättigen aber nicht“. Seinem inneren Wesen nach stellt das eine Fassade aber keinen belastbaren Machtfaktor dar, ganz zu schweigen davon, dass der letztlicher Maßstab für die in Europa geltenden Werte die kapitalistische Verwertbarkeit ist. Wird diese Grenze bedroht, dann geraten auch die „Werte“ zwangsläufig unter Druck und werden, um es mit Marx/Engels zu sagen „im eiskalten Wasser egoistischer Berechnungen ertränkt“. Diese Werte existieren zweifellos, aber der Adressat dieser Werte ist die flexible Arbeitsbiene beiderlei Geschlechts, die letztlich mit ihrem Schicksal allein gelassen wird. Das kann man freilich Freiheit nennen, aber es ist eine Freiheit, für die Schutzlosigkeit manchmal eine bessere Bezeichnung wäre. Das Bild der sich nach außen „nett“ gebenden Union ist im übrigen als Muster nicht neu: Großmächte werden in ihrem absterbenden Stadium meist auf ihre Weise netter. Wenn sie mit Waffen nicht mehr kommen können, dann müssen die Werte herhalten.

Es blieb die Erbärmlichkeit

Diese europäischen Werte haben nicht verhindert, dass ein – unter machtpolitischen Gesichtspunkten – erfolgreiches Kapitalismusmodell – und das war das europäische 400 Jahre lang – zu einem zweit- oder drittrangigen geworden ist, dessen innere Zerrissenheit jegliche entschlossene Geste verhindert. Zur brutalen Machtentäußerung, wie der europäische Westen in diesen Jahrhunderten und noch in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegenüber anderen Kontinenten imstande war (Frankreich in Indochina und Algerien, Portugal in Angola und Mosambik, Großbritannien in Kenia und Rhodesien, die Niederlande in Indonesien, Belgien im Kongo) ist er heute nicht mehr in der Lage, sieht man von den erbärmlichen Mittäterschaften bei den Aggressionen der USA einmal ab. Diese Entwicklung zeichnete sich Mitte der 50er Jahre ab, als Frankreich und Großbritannien den Staat Ägypten wegen der Nationalisierung des Suez-Kanals angriffen und die Großmächte USA und Sowjetunion es ihnen einfach verbieten konnten.

„Wider die These von den Vereinigten Staaten von Europa“ war der Titel eines Aufsatzes des russischen Revolutionsführers Lenin. Mit den heutigen Gegebenheiten hatten seine Gedankengänge naturgemäß wenig zu tun. Ihn beschäftigte der Klassengegensatz von Bourgeoisie und Proletariat, und der Text bringt seine Befürchtung zum Ausdruck, dass eine europäische Internationale der Bourgeoisie die Bedingungen der Auseinandersetzungen für das Proletariat bedeuten verschlechtern müsste und es für dieses Proletariat ungleich komplizierter wäre, seine Internationale aufzubauen und dagegenzusetzen.

Wolfsgesetzt nützt nicht jedem Wolf

Wesentlich aber ist, dass auch es hier die Kampfbedingungen und gleichsam Machttechniken sind, die bei der Betrachtung Lenins eine Rolle spielen, nicht „Werte“ oder dergleichen. Es geht um Machtfragen und allein die müssten auch interessieren, wenn der Status von Europa im Konzert der Weltmächte bestimmt werden soll. Denn die Frage, ob dieses Europa angesichts seiner inneren Verfasstheit mächtig ist, ist in einer Welt, in der das kapitalistische Wolfsgesetz herrscht, die einzig wichtige. Das Wolfsgesetz nützt keineswegs jedem Wolf, der schwache Wolf wird von den stärkeren weggebissen. Und Europa ist eine altehrwürdiger Wolf, der vielleicht hier und da noch gegrüßt wird. Aber beim Kampf um das Futter fehlen ihm schlicht Zähne. Ohne dass die Akteure es wussten, war es darauf von Beginn angelegt, es handelt sich beim Hauptproblem um einen gigantischen Gründungsdefekt. Der lässt sich nicht beheben, ohne alles zu zerstören.

So merkwürdig es klingt, der Vorgang der EU-Bildung war in dem Sinne unpolitisch, als er maßgebliche Erfahrungen von Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte verzichten zu können glaubt. Denn selbst, wenn die schon erwähnten „Werte“ tatsächlich das Unveräußerliche und gleichsam Heilige sein sollten (und nicht etwa von kapitalistischen Erwägungen abgeleitete Prinzipien, die auch zur Debatte stehen können), so ist das Wappenschild Wertegemeinschaft unter keinen Umständen eines, was nach den Menschheitserfahrungen im Ernst über alle Zeiten trägt. Ja nicht einmal besonders lange. Dieses Modell lebt von der aberwitzigen Vorstellung des immerwährenden Glücks aller Beteiligten. Doch ist es wie mit einer Ehe: Der Zusammenhalt in guten Tagen ist kein Beweis, sondern allein der in schwierigen (vielleicht bösen) Tagen. Und die EU kann ihre Instabilität selbst in den guten Zeiten nur sehr schlecht verbergen. Für das Gewicht Europas in der Weltpolitik ist der Widerspruch zwischen Schein und Sein nicht nur unnütz, sondern auch gefährlich, denn in Verkennung der Realität sind irrationale Handlungen denkbar, die böse ausgehen können.

Austritt gleich Abtritt

Eine Werteunion im kontinentalen Maßstab? Das hat es in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben, und die EU wird nicht die erste Ausnahme sein. Reiche, auch Riesenreiche, werden nicht zuvörderst durch Werte zusammengehalten, sondern durch Macht. Und die erste Voraussetzung dafür wäre die Unmöglichkeit, den Machtbereich zu verlassen, die zweite, jedwede außenpolitische Souveränität abzugeben. Scheitern muss die EU also an einem weiteren Grundübel: Eine Union, der man beitreten, der man aber auch den Rücken kehren kann, ist keine.

Die Vereinigten Staaten von Amerika mussten dies schmerzlich erlernen. Denn in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz bot sie das Bild eines Staatenbundes, den eine äußerst schwache Zentralmacht mühsam zusammenhielt. Die Folge war Anfang des 19. Jahrhunderts eine Invasion der einstigen Kolonialmacht Großbritannien, die fast zum Erfolg und zum Auslöschen der USA geführt hätte. Die Schlussfolgerungen wurden danach gezogen mit einer Verfassungsnovelle, die jeglichen Austritt ausschloss. Die Union konnte und durfte seither niemand mehr verlassen. Die Formel lautet: die Union könne nur größer werden. Das war das Austrittsverbot für alle und jeden und bildete – im Übrigen – die staatsrechtlichen Grundlage für Abraham Lincolns Entscheidung 1861, gegen den ungesetzlichen und verfassungswidrigen Austritt der Südstaaten ein Bundesheer auf die Beine zu stellen. Der Sieg des Nordens im Bürgerkrieg, im für sie selbst verlustreichsten Krieg, den die USA jemals geführt hatten, bildete die Grundlage nicht nur der Einheit der Nation, sondern schuf auch die Voraussetzungen für die USA, um zur Weltmacht aufzusteigen.

Stalin konnte es sich noch leisten

Ein abschreckendes Beispiel gewissermaßen hätte Europa in seinen eigenen Ostgebieten entdecken können. In der Verfassung der stalinschen UdSSR wurde 1936 ausdrücklich die Möglichkeit aufgenommen, dass eine Unionsrepublik den Weg des Austritts wählen konnte. Zu mächtig und zu sicher wähnte sich Josef Stalin, als dass er sich diese Geste nicht leisten zu können glaubte. Seine eigene Regierungszeit gab ihm auch Recht, zu Stalins Lebzeiten wäre ein solcher Schritt undenkbar gewesen. Und doch war es ein strategischer Fehler, der sich rächen musste. Niemand weiß, ob es ohne diesen Passus in der Verfassung Anfang der 90er Jahre nicht auch zum Zerfall der Sowjetunion gekommen wäre, aber auf jeden Fall hätten die Separatisten sich nicht zu allem Überfluss auf die Verfassung berufen können.

Weil das aber im Falle der EU genauso ist, liegt eine grundsätzliche Änderung nicht einmal theoretisch im Bereich des Möglichen. Dieses Gebilde EU ist bezogen auf seine eigentlichen Probleme reformunfähig. Noch deutlicher: Wer es auf die strategische Schwächung Europas angelegt hätte, wem allein diese Schwächung am Herzen gelegen hätte, der hätte sich nichts Effektiveres als diese EU ausdenken können. Wer erinnert sich nicht an die Hilfestellung der USA bei der maßlosen Osterweiterung eben dieser EU.

Opfer waren nicht Selnbstzweck

Wie gründet man Weltreiche, oder wie entsteht eine Weltmacht? Man tut dies wie Tschingis Khan, Karl der Große, Iwan der Schreckliche oder Georges Washington und erzielt damit Ergebnisse, die z. T. bis heute nachwirken. In all diesen Fällen waren die Opferzahlen gewaltig. Diese Opfer waren nicht Sinn des Vorgangs, sondern ergaben sich mit Zwangsläufigkeit. Denn solche Großmächte müssen sich im Aufstieg gegen andere behaupten und durchsetzen. Sie müssen deren Souveränität zerstören, letztlich rauben und dabei muss man zuschlagen, bis der Arm weh tut. Denn freiwillig gibt das niemand her. (Das einzige Gegenbeispiel ist eine Groteske der Weltgeschichte, als sich im 17. Jahrhundert, das damals große Litauen dem viel kleineren Polen friedlich unterwarf. Bis heute gilt dies als Dies Ater – als schwarzer Tag – der litauischen Geschichte.)

Bei der Entstehung von Weltmächten muss die erste und im übrigen auch einzige Frage beantwortet werden: Es gilt, unmissverständlich und vollkommen unbestritten zu klären, wo die Macht liegt. Danach, und nicht etwa früher, kann man sich über „Werte“ unterhalten. Wer diese Reihenfolge verwechselt, betritt das Gebiet der Romantik, er verhält sich unpolitisch und endet als „Hanswurst im Fürchterlichen“ (Fr. II.). Otto von Bismarck: „Die weinerliche Sentimentalität unseres Jahrhunderts…. wird mehr Blutvergießen herbeiführen, als eine strenge und entschlossene Gerechtigkeit“.

Ehrliche Nicht-Mitglieder immer besser

Was hätte diese Lage für Europa verhindern können? Diese Menschheitserfahrungen auf die EU übertragen, hieße, Mitglieder zu verpflichten, Souveränitätsrechte abzugeben. Außenpolitik des Einzelstaaten dürfte es dann nicht mehr gegeben haben. Man mag einwenden, dass dann beispielsweise Polen nicht zu einer Mitgliedschaft bereit gewesen wäre. Na und? Ein ehrliches Nicht-EU-Mitglied Polen ist alle mal besser als ein unberechenbares EU-Mitglied Polen. Das Land hätte dann eben keine EU-Gelder bekommen und hätte mit seiner Souveränität selig werden können. Und die EU hätte es bei diesem Verfahren nicht nötig gehabt, auf die Befindlichkeiten hoch neurotischer staatlicher Klein- und Kleinstgebilde Rücksicht zu nehmen wie sie in den baltischen Mitgliedsstaaten gegeben sind. Mit einiger Aussicht auf Erfolg hätte die wichtigste Bedingung für jedes Neumitglied der EU sein müssen, sich als erstes zu verpflichten, dass es keine Außenpolitik mehr betreibt (außer die gegenüber Brüssel/Straßburg!) und nur noch die der EU unterstützt. Und Neumitglieder hätten akzeptieren müssen, die EU-Politik auch dann anzuerkennen, wenn eine Mehrheit im eigenen Land dem nicht zustimmt. Nur so wäre eine europäische Handlungsfähigkeit zu erlangen, damit auch Respekt und Ernsthaftigkeit auf der internationalen Bühne. Das wäre eine Handlungsfähigkeit zu der dieser Staatengemeinschaft heute nachgerade alles fehlt. Natürlich ist die EU von nichts weiter entfernt als von einer politischen Wende, die allein sie retten könnte. Sie wird sich dem auch nicht nähern können, weil alle politischen, geistigen, historischen, machtpolitischen und organisatorischen Voraussetzungen dafür fehlen.

Zum Hohn der Spott

Der alten Dualismus zwischen Zentralgewalt und Partikularmacht ist eindeutig zugunsten der letzteren ausgegangen. Daran zerbrach das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ und daran wird auch die EU zerbrechen. Denn die beschriebene strukturelle Schwäche Europas zeigt sich nicht allein in seinen Außenbeziehungen, sondern zunehmend auch nach innen. Seine Verfasstheit, die daraus entstehende Paralyse, zwingt es zu allem Überfluss, die eigenen inneren Gegner zu mästen. Denn haben bestimmte Staaten ein anderes als ein zynisches Verhältnis zur EU? Mitglieder, die des Geldes wegen bei der Stange bleiben, sind wie Söldner, die nur des Geldes wegen kämpfen. Soweit die Gage reicht eben. Kann der Ausgang der Misere ein unklarer sein?

Was stürzt, soll man stoßen, fordert Friedrich Nietzsche. Vor fünfzehn Jahren hätte man den Neu-Mitgliedern ihre Souveränität vielleicht noch abkaufen können, heute geht das nicht mehr. Diese Jahre haben diese „Neuzugänge“ wirtschaftlich und politisch gestärkt. Sie können den traditionellen Gründerstaaten inzwischen die Stirn bieten und bei der Flüchtlingskrise ist dies offensichtlich geworden. Wenn die Krise offen ausbricht, dann als erstes auf dem Feld der “Werte“.

Diese EU ist heute ein Gebilde, das jederzeit torpediert werden kann, von innen wie von außen. Wer mit ihr verhandelt, kann nicht mehr wissen, mit wem.