Manfred Stolpe, gestorben am 29. Januar

Verfolgt bis über den Tod hinaus

Zur Beerdigung des Ministerpräsidenten a.D. Manfred Stolpe

Von Matthias Krauß

„Er hat die tödliche Dosis überlebt“, hieß es in westlichen Redaktionsstuben, als 1994 die Brandenburger bei der Landtagswahl ihrem Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und seiner SPD mit 54 Prozent Zustimmung den größten aller
jemals erzielten Triumphe verschafften. So endete damals die jahrelange Belagerung eines Mannes, der als Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche, später als Ministerpräsident des Landes Brandenburg und noch später als Bundesverkehrsminister tätig war. Die endlosen Stasi-Vorwürfe hat Stolpe überstanden, den Weg allen Lebens ging er dennoch: Am 29. Dezember starb der umstrittene Politiker. Vergangenen Sonnabend, am 25.Januar, wurde er auf dem Bornstädter Friedhof Potsdams beigesetzt. Einige Tage zuvor fand aus diesem Anlass der ehrende Gottesdienst in der bis auf den letzten Platz besetzten Nikolaikirche von Potsdam statt. Gekommen waren hunderte Verwandte, Weggefährten, einstige und gegenwärtige politische und kirchlichen Prominenz.

Nach dem Verlesen von Erinnerungen, die Manfred Stolpe an den Zweiten Weltkrieg bewahrt hatte, den er als Kind erlebte, hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die zentrale Rede bei dieser Gedenkveranstaltung des Landes Brandenburg. Er sprach die Witwe Ingrid an: „Am Ende seines Lebens griff die schwere Krankheit grausam nach ihm. Ertragen musste Manfred Stolpe nicht nur den Verlust der Stimme. Die Kräfte waren einfach erschöpft…. Ein Ostdeutscher, der den Ostdeutschen Mut machte und der Menschen aufrichten konnte. Ein Ostdeutscher, der Westdeutschland verstand.“

Bischof Christian Stäblein wies in seiner Predigt darauf hin, dass Manfred Stolpe „nicht dazu neigte, das Persönliche zur Schau zu stellen“. Es erklang in der Kirche der Karat-Hit „über sieben Brücken musst du geh‘n“, den Stäblein in seiner Predigt irrtümlich dem Peter Maffay zuordnete. Stolpe habe erreicht, dass „in einem System der Unfreiheit Freiheitsräume geschaffen und ausgeweitet wurden.“ Und nicht von ungefähr: Manfred Stolpe habe „jederzeit im Dienst der Kirche“ gestanden.

Das wurde in den vergangenen Jahrzehnten dezidiert angezweifelt und nicht einmal nach seinem Tod verstummten die Stimmen seiner Gegner. Aufarbeitungs-Beauftragte Maria Nooke erklärte anlässlich des Todes von Stolpe: „Seine umstrittenen Kontakte zum Staatssicherheitsdienst der DDR und sein Umgang nach 1989 mit seiner Verstrickung als Kirchenfunktionär in den Macht- und Sicherheitsapparat der Diktatur haben jedoch die Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur im Land Brandenburg verzögert.“ Nooke sprach in ihrem Nachruf von einer späten Einrichtung einer Aufarbeitungsbehörde, einer anfangs geringen Unterstützung für Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen sowie für diejenigen, die in der SBZ/DDR hätten Unrecht erleben müssen.

Die Äußerungen der Beauftragten Nooke nach dem Ableben von Manfred Stolpe hätten ihn und andere Abgeordnete der SPD-Landtagsfraktion irritiert, sagte SPD-Fraktionschef Erik Stohn einige Tage später. Er widersprach ausdrücklich der Beauftragten, derzufolge Manfred Stolpe als Ministerpräsident die Aufarbeitung der Vergangenheit behindert habe. Die langjährige Diskussion um die Rolle Manfred Stolpes als Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche hätte eine umfangreiche Beschäftigung mit der DDR-Vergangenheit zur Folge gehabt, die in Brandenburg wesentlich größer gewesen sei als in anderen Bundesländern, unterstrich Stohn.

Weil Manfred Stolpe seit Anfang der 90-er Jahre Gegenstand wütender politischer Attacken war, konnte auch die Zeit nach seiner Pensionierung davon nicht frei sein. Die Bedrängung beschränkte sich nicht auf die drei Jahre, in denen ein Untersuchungsausschuss sein Verhältnis zur MfS und DDR-Staat prüfte. Auf Betreiben der Opposition tagte zwischen 2009 und 2014 eine Enquetekommission, welche die Stolpe-Jahre auf „Fehler, Versäumnisse, Defizite“ abklopft. Der ewig Getriebene kam in einem aus diesem Anlass entstandenen Kurzfilm einmal selbst zu Wort: „Am schnellsten und am lautesten urteilen jene, die davon am wenigsten verstehen.“ 1994 wurde Stolpe im Landtag vom Vorwurf des schuldhaften Handels freigesprochen. Möglich wurde dies, weil die oppositionelle PDS ihn in der Sache unterstützt hatte. Der Landtag beschloss im Anschluss einen von Vertretern aller Fraktionen eingebrachten Antrag „Mit menschlichem Maß die Vergangenheit bewerten“. Der wurde 20 Jahre später durch einen Beschluss der endlosen Abrechnung ersetzt. Wie, um dem postum etwas entgegenzusetzen, stand über der Gedenkfeier in der Nikolaikirche der Bibelspruch: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Rückblickend resümierte Stolpe anlässlich seines 80. Geburtstags vor vier Jahren, er sei er immer zu gutgläubig gewesen. Das habe zu Enttäuschungen geführt, er wäre besser misstrauischer gewesen, „wenn einer freundlich guckt und sagt, so und so ist das“. Bei alldem aber hatte Stolpe den Humor nie verloren. In den 90er Jahren konterte Stolpe einmal während einer Landtagssitzung in einer politischen Auseinandersetzung mit dem parlamentarischen Geschäftsführer der damaligen PDS-Fraktion: „Herr Vietze, selbstverständlich nehme ich jeden Morgen als erstes das ‚Neue Deutschland‘ zur Hand und informiere mich dort über das Wesentliche“. Anderntags reagierte die Zeitung: „Dieses Lob unseres Ministerpräsidenten ist uns Ansporn und Verpflichtung zugleich.“

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