„Vielleicht lachen Sie jetzt über mich“

Udo an Erich: „Sonderzug“ war Dokument meiner Irritation

Rocklegende Udo Lindenberg und DDR-Staatschef Erich Honecker machten sich bekanntlich gegenseitig und in aller Öffentlichkeit Geschenke – und das, obwohl ihr Verhältnis nicht immer ein ungetrübtes war. Aber unter Freunden kann man sich auch mal verzeihen, wie der Brief beweist, den Udo im August 1983 an Erich sandte. Dass der Rocker in diesem Brief zu seinem Lied „Sonderzug“ vorsichtig auf Distanz geht, Erichs Friedensliebe lobt und eine Zensur seines eigenen Programms anbietet, geht ziemlich weit – nichtsdestotrotz so waren sie halt, die Zeiten. Entnommen ist der Brief dem Band „Udo rockt für den Weltfrieden“, den die Stasi-Unterlagenbehörde herausgegeben hat (S.26 ff).

(Matthias Krauß)

Udo Lindenberg, Hotel Inter-Continental, Budapester Str. 2, 1000 Berlin

An den Vorsitzenden

des Staatsrates der DDR

und Generalsekretär der SED

Herrn Erich Honecker

1020 Berlin

Marx-Engels-Platz

DDR

Sehr geehrter Herr Honecker!

Ich wende mich mit einer Bitte an Sie. Seit Jahren habe ich mich darum bemüht, ein Konzert in Ihrem Staat geben zu können. In diesem Zusammenhang habe ich mich auch an den leider verstorbenen Präsidenten der Akademie der Künste der DDR, Konrad Wolf, gewandt. Mir ist nicht bekannt, warum alle bisherigen Bemühungen ohne Erfolg geblieben sind.

Es kann vielleicht sein, dass einige meiner Auftritte im hiesigen Showgeschäft Irritationen hervorgerufen haben. Das ist jedoch für mich nicht vorstellbar. Schon vor längerer Zeit habe ich der Zeitung „Junge Welt“ ein Interview gegeben, in dem ich ausführlich meine Gründe für ein Engagement in der Friedensbewegung in der Bundesrepublik dargelegt habe. Auch soll ein Interview mit der „Wahrheit“, der Zeitung der SED (Sozialistische Einheitspartei Westberlins, die Red.) in den Zeitungen der DDR zitiert worden sein.

Um so mehr hat mich irritiert, daß Andere aus dem Showgeschäft der BRD in Ihrem Staat auftreten konnten und ich nicht. Betrachten Sie bitte deshalb, Herr Staatsratsvorsitzender, meinen Text auf eine bekannte Schlagermelodie „Sonderzug nach Pankow“ als ein Dokument meiner Irritation. Mein Wunsch in diesem Lied, im Palast der Republik auftreten zu wollen, ist ernst gemeint. (Wie dieses Lied allerdings in den hiesigen Medien eingesetzt worden ist und vielleicht manchmal noch wird, unterliegt nicht meinen Intentionen. Dass es hingegen für einige andere Lieder von mir ein Sendeverbot gibt, ist die andere Seite der Medaille.) Auf jeden Fall lag es mir fern, Herr Staatsratsvorsitzender, Sie mit diesem Liedchen zu diskreditieren. Im Gegenteil.

So habe ich auch davon abgesehen, von Westberlin aus, meinem jetzigen Wohnsitz, zu Ihnen zu fahren. Vielleicht lachen Sie jetzt über mich, aber es hätte sein können, daß ich von Ihren Leuten an der Grenze abgewiesen worden wäre, und am nächsten Tag hätte der Vorfall in den Springer-Zeitungen gestanden. Daran habe ich keinerlei Interesse.

Ich möchte im Palast der Republik oder beim Festival des politischen Liedes wie andere Rocksänger auftreten. Im Rahmen einer Solidaritätsveranstaltung würde ich selbstverständlich auf ein Honorar verzichten. Das mache ich hier bei Konzerten „Künstler für den Frieden“ oder bei anderen politischen Veranstaltungen ebenfalls. Und über das, was ich singen würde, lässt sich auch  reden.

Ich brauche, glaube ich, nicht zu betonen, daß ich Ihre Initiativen zur Friedenssicherung aufmerksam verfolge. Nicht zuletzt ist auch das ein Grund, weswegen ich mich mit diesem Brief, Herr Staatsratsvorsitzender, an Sie wende. Als alter Wiebelskirchner Trommler beim RFB (Rot-Frontkämpferbund, M. K.) werden Sie mich verstehen.

Herzlichst Ihr

Udo Lindenberg (unterschriftlich)

Kurze Anmerkung: Honecker trommelte nicht beim Rotfront-Kämpferbund, sondern blies dort die Schalmei. Ein solches Instrument bekam Udo L. dann auch von ihm als Geschenk überreicht. Udo hatte dem Erich eine Rocker-Lederjacke verehrt und später noch eine E-Gitarre. Zu Udos Auftritt beim Festival des politischen Liedes ist es dann gekommen, zu einer von ihm angestrebten Tournee durch die DDR aber nicht. Jedenfalls hat Amiga dann noch eine Schallplatte mit Liedern von Udo Lindenberg herausgebracht, allerdings ohne den „Sonderzug nach Pankow“.

(M. K.)