So fern und in manchem so nah

Die DDR unter dem Blickwinkel von Greta Thunberg

Von Matthias Krauß

Ganz im Ernst: Die DDR wusste naturgemäß nichts von Greta Thunberg, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiß Greta so gut wie nichts über die DDR. Allenfalls, was die deutsche Aufarbeitungsproduktion an dieser Stelle nach Schweden exportiert hat, wobei Selbstgefälligkeit und Gedankenarmut wohl nach stärker garantiert sein dürften als man sich daheim leisten kann.

Doch lässt sich diese Armut des heutigen offiziellen Rückblicks auf diesen Staat gerade auf Gretas Feldern besonders sinnfällig machen, denn hierbei liegen sie in bemerkenswerter Häufung vor, die Gegenbeispiele, die sich eben in einem ganz anderen als dem Aufarbeiter-Sinne dem „typisch DDR“ zuordnen lassen.

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Mit dem 30er Jubiläum nichts gemein

Sehenswerte Landtags-Ausstellung zum Motto „Arbeit, Arbeit, Arbeit“

Von Matthias Krauß

Die DDR war eine Arbeitsgesellschaft. Die dadurch bewirkte Prägung ihrer Bürgerinnen und Bürger wirkte über 1990 hinaus nach und „existiert als Grundrauschen bis heute“. Das erklärte Florentine Nadolni, Leiterin sowohl des Kunstarchivs Beeskow als auch des Dokumentationszentrums „Alltagskultur der DDR“ in Eisenhüttenstadt, als sie durch die neue Ausstellung auf den Fluren des Potsdamer Landtags führte. Unter dem Motto „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ werden ein Jahr lang 264 Einzelexponate aus den genannten Einrichtungen ausgestellt. Und wenn in der Erklärung dazu, davon die Rede ist, dass diese Exposition im 30. Jahr der deutschen Einheit zu sehen ist, so kann man sicher sein, dass sie nichts, aber auch gar nichts mit diesem Jubiläum zu tun hat.

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Verfolgt bis über den Tod hinaus

Zur Beerdigung des Ministerpräsidenten a.D. Manfred Stolpe

Von Matthias Krauß

„Er hat die tödliche Dosis überlebt“, hieß es in westlichen Redaktionsstuben, als 1994 die Brandenburger bei der Landtagswahl ihrem Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und seiner SPD mit 54 Prozent Zustimmung den größten aller
jemals erzielten Triumphe verschafften. So endete damals die jahrelange Belagerung eines Mannes, der als Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche, später als Ministerpräsident des Landes Brandenburg und noch später als Bundesverkehrsminister tätig war. Die endlosen Stasi-Vorwürfe hat Stolpe überstanden, den Weg allen Lebens ging er dennoch: Am 29. Dezember starb der umstrittene Politiker. Vergangenen Sonnabend, am 25.Januar, wurde er auf dem Bornstädter Friedhof Potsdams beigesetzt. Einige Tage zuvor fand aus diesem Anlass der ehrende Gottesdienst in der bis auf den letzten Platz besetzten Nikolaikirche von Potsdam statt. Gekommen waren hunderte Verwandte, Weggefährten, einstige und gegenwärtige politische und kirchlichen Prominenz.

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„Vielleicht lachen Sie jetzt über mich“

Udo an Erich: „Sonderzug“ war Dokument meiner Irritation

Rocklegende Udo Lindenberg und DDR-Staatschef Erich Honecker machten sich bekanntlich gegenseitig und in aller Öffentlichkeit Geschenke – und das, obwohl ihr Verhältnis nicht immer ein ungetrübtes war. Aber unter Freunden kann man sich auch mal verzeihen, wie der Brief beweist, den Udo im August 1983 an Erich sandte. Dass der Rocker in diesem Brief zu seinem Lied „Sonderzug“ vorsichtig auf Distanz geht, Erichs Friedensliebe lobt und eine Zensur seines eigenen Programms anbietet, geht ziemlich weit – nichtsdestotrotz so waren sie halt, die Zeiten. Entnommen ist der Brief dem Band „Udo rockt für den Weltfrieden“, den die Stasi-Unterlagenbehörde herausgegeben hat (S.26 ff).

(Matthias Krauß)

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Ganz andere Menschen

„Liebe ARD, Erfahrung macht klug. Und die gibt uns ein, dass wir uns auf weiteren Schwachsinn freuen können. Bereit sein ist alles.“ So endete meine Rezension eines dieser filmischen DDR-Aufarbeitungs-Schinken mit denen Ostdeutschland seit der Wende belästigt wird. Hohe Erwartungen waren also nicht im Gepäck, als ich die Presse-Voraufführung des neuen Films von Bernd Böhlich „Und der Zukunft zugewandt“ besuchte. Zweifellos ist dieses Werk mit Blick auf den bevorstehenden 30. Jahrestag des Mauerfalls entstanden, und die öffentlich-rechtlichen Sponsoren würden die Musik nicht nur bezahlen, sondern auch bestimmen. Eingangs, d.h. wir warteten auf dem Filmbeginn, bekam ich Gesprächsfetzen der West-Kollegen mit: „Und der Zukunft zugewandt – ist das aus der Hymne der NDR, äh, ich meine natürlich der DDR?“

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Das Kind und das Über-Kind

56 Jahre Alfons Zitterbacke – ein Vergleich mit seinem Bruder Harry Potter
Von Matthias Krauß

 

Erfolgsbücher sind nicht allein für ihre Fangemeinde wichtig. Aufschlussreich und wertvoll sind sie für alle, die wach durchs Leben laufen. Erfolgsbücher geben einen enthüllenden Blick auf eine Welt frei, in der diese Bücher ihre Wirkung entfalten. Von solchen Werken kann übrigens keineswegs immer auf die Autoren geschlossen werden, aber sehr fundiert auf Sehnsüchte und Erwartungen im Publikum.

„Alfons Zitterbacke“ wie auch „Harry Potter“ sind Erfolgsbücher, wenn auch ganz unterschiedlicher Dimension. Während die Erfolgskarriere des Alfons auf die DDR beschränkt geblieben ist, hat Harry nach 1997 die ganze Welt erobert, zumindest ihren solventen Teil. Alfons erblickte als literarische Figur 1958 das Licht einer halbwegs gefestigten DDR-Kleinwelt, erdacht von Gerhard Holtz-Baumert. Harry entsprang der Feder der arbeitslosen Britin Joanne Kathleen Rowling, mithin in einem Staat, der ein paar Jahrzehnte zuvor noch die halbe Erde beherrscht hat. Vom Alfons erschienen drei relativ schmale Bücher, Harry brachte es auf sieben dicke. Harry ist als weltweites literarisches und Kommerzkonzept aufgegangen, und seine Autorin ist heute reicher als Queen Elisabeth. Während der Alfons auf diese Dinge überhaupt nicht angelegt war und schon heute in vielem der Kommentierung bedarf. (Was ist ein Landambulatorium? Was ist ein Kosmonaut?)

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Ein Zeitalter wird besichtigt

Vier Jahre lang tagte im brandenburgischen Landtag eine Enquetekommission zur „Aufarbeitung“ der ersten Nachwende-Jahre. Sie bot ein Sittenbild.

Man stelle sich vor, der kürzlich verstorbene venezolanische Präsident Hugo Chávez würde Kraft seiner Amtsgewalt gemeinsam mit dem ebenfalls linksgerichteten Präsidenten Lula da Silva (Brasilien) und vielleicht noch mit der inzwischen wiedergewählten Präsidentin Michelle Bachelet (Chile) parlamentsamtliche Untersuchungskommissionen einberufen haben, um die Gesinnung und Gesittung der Zeitungen und Rundfunkstationen ihrer Länder zu durchleuchten. Und zwar für den Zeitraum der vergangenen 20 Jahre.

Man stelle sich weiter vor, diese Kommissionen würden in Parlament und Staat, in Polizei und Justiz jene aufgespürt haben wollen, welche diesen linken Präsidenten aus irgendeinem Grund politisch nicht in den Kram passen. Und das mit dem Ziel, sie durch Leute aus dem eigenen politischen Dunstkreis auszutauschen.

Man stelle sich ferner vor, diese Kommissionen würden das Bildungssystem ihrer Länder, das Museumswesen und die Gedenkstätten nach weltanschaulichen und geschichtlichen Positionen durchforstet lassen haben, die den amtierenden Präsidenten im Wege sind. Und so weiter.

Was gäbe es für ein Geschrei in Deutschland. Welch ein Aufstand des demokratischen Gewissens wäre die Folge. Wie laut und eindringlich bekäme man zu hören, dieses inquisitorische Vorgehen beweise, dass diese linken Politiker doch in Wahrheit keine Demokraten seien.

Eine solche Kommission wurde nicht in linksgerichteten südamerikanischen Ländern eingerichtet, dafür aber 2010 im rot-rot-regierten deutschen Bundesland Brandenburg.

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In der Falle von Doublethink

George Orwell und wir – Zwiedenken als Bestandteil des modernen westlichen Bewusstseins

 

Er kämpfte an der Seite von Ernest Hemingway, Ludwig Renn und Ernst Busch in Spanien gegen den Faschistenputsch Francos. Er war Sozialist und Freidenker. George Orwell, mit bürgerlichem Namen Eric Athur Blair, hasste und bekämpfte die Kolonialpolitik seines demokratischen Vaterlandes Großbritannien, er hasste Heuchelei und Lüge, und er starb mit 47 Jahren an einer verschleppten Lungenentzündung. Orwell hinterließ mit seiner Schreckensutopie „1984“ eine geniale Warnung und ein geistiges Modell, an dem sich jede Generation aufs neue abarbeiten muss.

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Ein Steinbruch guter Ideen

Wo die Bundesrepublik sich die DDR zum Vorbild nahm

Von Matthias Krauß

Als die frühere Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) einmal ihre neueste Errungenschaft pries, das nunmehr eingeführte Leistungsstipendium, hielt sie es für erwähnenswert, dass „erstmals“ an deutschen Hochschulen und Universitäten dieses Instrument zum Einsatz gelangen könnte.

Natürlich ist das einer dieser Sätze, mit denen man sich in Ostdeutschland blamiert. Frau Schavan hätte einfach mal mit ihrer Chefin Angela Merkel reden sollen; die Trägerin der Lessing-Medaille hätte ihr etwas von Leistungsstipendium zu DDR-Zeiten erzählen können. Dieses Leistungsstipendium aber ist mehr, ist das vorerst letzte Glied in einer beeindruckenden Serie von Beispielen, in denen die Bundesrepublik jene Auffassungen, Grundsätze und Formenelemente, Regeln und Gepflogenheiten übernahm, die in der DDR entwickelt bzw. in ihr praktiziert worden sind. Ungeachtet aller Repression, weltanschaulicher Einseitigkeit, offenkundiger Ablehnung der Demokratie in ihrer westlichen Variante und dem Verrammeln von Türen Richtung Westen galt also für die DDR auch dies: Sie hat jede Menge Türen aufgestoßen, durch welche die Bundesrepublik viel später auch geschlichen ist. Nicht nur auf das Leistungsstipendium trifft zu: Der „Unrechtsstaat“ dient bis heute als ein Steinbruch guter Ideen. Ein Steinbruch guter Ideen weiterlesen