150 Jahre Rosa Luxemburg: „Brief aus dem Gefängnis“
Ein einziger Text aus der Feder der Gründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands Rosa Luxemburg erscheint im DDR-Einheitslesebuch. Und mit ihm gibt dieses Buch erneut Rätsel auf. Nein, dieser „Brief aus dem Gefängnis“ (Lesebuch Klasse 7, S. 141) gerichtet an Sonja Liebknecht, also die Frau von Karl Liebknecht, ist kein Dokument revolutionärer Gesinnung. Es enthält keine Parolen, keine Aufrufe, nicht eine Spur kommunistischer Ideologie haftet ihm an. Er zeigt aber, was diese jüdisch-polnisch-deutsche Revolutionärin vor allem war: ein mitfühlender, warmherziger, gütiger Mensch.
Dokumentiert. Der folgende Text erschien in der Juli-Ausgabe der DDR-Zeitschrift „Das Magazin“ 1971, d.h. vor ziemlich genau 50 Jahren, und er stammt aus der Feder des Autors Hans Kleffe. Angesichts der schrillen Töne in der gegenwärtigen Debatte zu diesem Thema berühren Gediegenheit und Unaufgeregheit. Auf Sendungswillen, Unbedingtheit und Einseitigkeit wird verzichtet. Die Zwischenüberschriften sind zum Teil von mir eingesetzt worden. (M. K.)
Jesus steht an der Treppe und unterhält sich mit einer Gruppe schnatternder Japaner. Die Touristen aus Fernost (aus der Perspektive der USA wohl eher Fernwest) feixen herum, umschwärmen und betasten ihn. Jesus, bzw. der junge Mann in einem Jesus-Kostüm, ist um Fassung bemüht und spielt würdevoll seine Rolle hier am Fuß der Treppe zum Washingtoner Kapitol. Er segnet alle auf die Erlaubnis zum Eintritt wartenden Eindringlinge, mich eingeschlossen.
Europas Probleme wurzeln in einem Gründungsdefekt und sind unlösbar
Von Matthias Krauß
Wer nach der Flüchtlingskrise vor einigen Jahren noch eines Beweises bedurfte, den müssen die verzweifelten und egoistischen Reaktionen der europäischen Staaten auf die gegenwärtige Corona-Krise endgültig belehrt haben: Von allen politischen Grundkonzeptionen der großen Mächte oder Machtzentren auf der Welt ist das europäische Modell das mit Abstand schwächste, unflexibelste und am wenigsten belastbare. Im Konzert der Giganten ist der altehrwürdige Kleinkontinent ökonomisch und als Absatzmarkt immerhin noch bedeutend. Politisch, gar machtpolitisch gleichwohl ein Zwerg, den von der Witzfigur nicht viel trennt. Und wenn, wie vor einigen Jahren geschehen, eine US-amerikanische Staatssekretärin mit ihrem genervten „Fuck the EU“ weltweit berüchtigt wurde, so mit einer rüden, wenig schmeichelhaften Formulierung, doch brachte sie so das Entscheidende auf den Punkt. Um dieses „Europa“ muss sich niemand scheren, weil niemand es fürchten müsste. Für die Bandagen, mit denen die Auseinandersetzungen weltweit geführt worden sind und in Zukunft geführt werden, ist dieses „Europa“ nicht gerüstet. Der Abschied und Austritt von Großbritannien hat es jedem, der Augen hat, vor dieselben geführt. Danach ist keine Klarheit zu erwarten, sondern eine neue und vertiefte Form des Durcheinanders.
Rolf Hochhuth im DDR-Literaturunterricht/Von Matthias Krauß
Es gab wenige westdeutsche Politiker, die in der DDR ein so hohes Ansehen genossen wie Richard von Weizsäcker. Das schloss die Partei- und Staatsführung mit ein. Ihr war bewusst, was sie einem Mann verdankte, der den Mut aufbrachte, gegen den Hass aus den eigenen Reihen im Bundestag vom 8. Mai als „Tag der Befreiung“ zu sprechen. Eine solche Deutung war 1985 keineswegs geistiges Gemeingut in der westdeutschen CDU und nach diesem – an sich längst überfälligen – Akt war das Prestige Richard von Weizsäckers in der DDR kaum steigerbar. Vor allem, als von Weizsäcker zum Bundespräsidenten gewählt wurde, war daher auch von ostdeutscher Seite Fingerspitzengefühl in einem heiklen Punkt nötig. Denn es gab eine Achillesferse des CDU-Politikers, und die betraf seinen Vater. Ernst Freiherr von Weizsäcker war als hoher Nazidiplomat, Staatssekretär im Auswärtigen Amt und späterer Botschafter Hitlers beim Vatikan laut Brockhaus „in die Kriegsvorbereitungen und Judenverfolgungen verwickelt“. Richard von Weizsäcker, der seinen Vater in Nürnberg vor Gericht verteidigte (Wilhelmstraßenprozess 1949) hat dieses Urteil niemals akzeptiert. Der Angeklagte wurde damals zu sieben Jahren Haft verurteilt, aber – wie so viele von Hitlers willigen Vollstreckern in hohen Positionen – kurze Zeit später begnadigt.
Oder: Wer vom Teufel spricht, erhält Besuch von ihm
Von Matthias Krauß
Gibt es die sich selbst verwirklichende Prophezeiung? Muss die Katastrophe nur intensiv genug beschwatzt und beschworen werden, um sie herbeizurufen? Unsere – angeblich – rationale Welt verweist das eher ins Reich der Legende, sie traut Zahlen und Fakten. Dem Aberglauben, dem Mystischen traut sie nicht. „Wir alle, oder doch die meisten von uns, sind Mündel jener Wissenschaft des 19. Jahrhunderts, die allem die Existenz absprach, was sich nicht messen oder erklären ließ. … Und so wurde ein großer Teil der Welt Kindern und Unmündigen, Schwachsinnigen, Narren und Mystikern überlassen“, schrieb John Steinbeck in seinem Roman „Geld bringt Geld“. Der lässt sich als eine literarische Ergänzung zum „Kapital“ von Karl Marx lesen.
Einzig der DDR ist es zu danken, dass die Sixtinische Madonna heute an der Elbe bezaubern kann
Von Matthias
Krauß
Im Jahr 1967 zog
eine neue Lockerheit und Vielfalt in die Briefmarkenproduktion der DDR ein.
Kinderzeichnungen, Altenburger Spielkarten konnten jetzt Motive sein, auch der
450. Jahrestag des Lutherschen Thesenanschlags war drei Marken wert. Mit „König
Drosselbart“ wurde das im Jahr zuvor begonnene beliebte Block-Angebot der
Märchenmotive fortgesetzt. Die bis dato vorherrschende ernste, politische
Motivwahl für die Marken wurde nicht unmittelbar abgelöst, aber doch ergänzt.
Am 7. Juni erschien ein ungewöhnlicher Satz, einer, der auf den Boden der
geschichtlichen Tatsachen zurückholte:
Die Serie „Vermisste Gemälde niederländischer und deutscher Maler“. Er
riss aus einer auch für die DDR-Gesellschaft eingezogenen Selbstgefälligkeit
und machte auf Verluste aufmerksam.
Ganz im Ernst:
Die DDR wusste naturgemäß nichts von Greta Thunberg, und mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit weiß Greta so gut wie nichts über die DDR.
Allenfalls, was die deutsche Aufarbeitungsproduktion an dieser Stelle nach
Schweden exportiert hat, wobei Selbstgefälligkeit und Gedankenarmut wohl nach
stärker garantiert sein dürften als man sich daheim leisten kann.
Doch lässt sich
diese Armut des heutigen offiziellen Rückblicks auf diesen Staat gerade auf
Gretas Feldern besonders sinnfällig machen, denn hierbei liegen sie in
bemerkenswerter Häufung vor, die Gegenbeispiele, die sich eben in einem ganz
anderen als dem Aufarbeiter-Sinne dem „typisch DDR“ zuordnen lassen.
Sehenswerte Landtags-Ausstellung zum Motto „Arbeit, Arbeit, Arbeit“
Von Matthias Krauß
Die DDR war eine Arbeitsgesellschaft. Die dadurch bewirkte Prägung ihrer Bürgerinnen und Bürger wirkte über 1990 hinaus nach und „existiert als Grundrauschen bis heute“. Das erklärte Florentine Nadolni, Leiterin sowohl des Kunstarchivs Beeskow als auch des Dokumentationszentrums „Alltagskultur der DDR“ in Eisenhüttenstadt, als sie durch die neue Ausstellung auf den Fluren des Potsdamer Landtags führte. Unter dem Motto „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ werden ein Jahr lang 264 Einzelexponate aus den genannten Einrichtungen ausgestellt. Und wenn in der Erklärung dazu, davon die Rede ist, dass diese Exposition im 30. Jahr der deutschen Einheit zu sehen ist, so kann man sicher sein, dass sie nichts, aber auch gar nichts mit diesem Jubiläum zu tun hat.
Zur Beerdigung des Ministerpräsidenten a.D. Manfred Stolpe
Von Matthias Krauß
„Er hat die tödliche Dosis überlebt“, hieß es in westlichen Redaktionsstuben, als 1994 die Brandenburger bei der Landtagswahl ihrem Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und seiner SPD mit 54 Prozent Zustimmung den größten aller jemals erzielten Triumphe verschafften. So endete damals die jahrelange Belagerung eines Mannes, der als Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche, später als Ministerpräsident des Landes Brandenburg und noch später als Bundesverkehrsminister tätig war. Die endlosen Stasi-Vorwürfe hat Stolpe überstanden, den Weg allen Lebens ging er dennoch: Am 29. Dezember starb der umstrittene Politiker. Vergangenen Sonnabend, am 25.Januar, wurde er auf dem Bornstädter Friedhof Potsdams beigesetzt. Einige Tage zuvor fand aus diesem Anlass der ehrende Gottesdienst in der bis auf den letzten Platz besetzten Nikolaikirche von Potsdam statt. Gekommen waren hunderte Verwandte, Weggefährten, einstige und gegenwärtige politische und kirchlichen Prominenz.